Kinderkurheim Hammelbach



Während der Volksschulzeit kam ich im Frühjahr 1957 in das damals neu gebaute Kinderkurheim der Stadt Herne nach Hammelbach im Odenwald.
Bild "Willkommen:Hammelbach_Kinderkurheim_der_Stadt_Herne_1.jpg"Damals war das Primärziel eines Kuraufenthalts für Kinder die Zunahme des Körpergewichts. In der noch schlechten alten Zeit waren Lebensmittel anscheinend knapp oder nicht nahrhaft und da die Kinder oft und ausgiebig draußen spielten und tobten (Das einzige Fernsehprogramm begann täglich erst am späten Nachmittag und das sog. Kinderprogramm war nicht immer anziehend, z.B. Adalbert Dickhut's Turnstunde.), waren viele Kinder noch schlank und rank. Und somit zu dünn. Und das sollte geändert werden.
Und in der vollen Überzeugung, dem Wohle der Kinder zu dienen, musste alles, was auf Tisch und Teller kam, gegessen werden. Mag ich nicht, gab es nicht. Und so saß manch Kurteilnehmer noch spät, wenn fast alle anderen in die Mittagspause oder zur Nacht ins Bett gegangen waren, noch vor dem halbleeren Teller mit all den Köstlichkeiten: gutes fettes Fleisch, dicke Bohnen, vielleicht auch Nierchen oder nur leckere Pilze.
Ich hatte mir oft genug die Backen vollgestopft mit den Sachen, die überhaupt nicht den Gaumen passieren wollten, um bei nächster Gelegenheit alles der Toilette zu übergeben. Und wenn schon mal an einem anderen Tisch einem Kind das Essen überquoll, so kam mir auch das Würgen, konnte mich aber  beherrschen.

Abgesehen von diesen Esszwängen und der für einen Siebenjährigen langen Erholungszeit von 6 Wochen Dauer kann ich nichts Negatives über Hammelbach schreiben. Die Schwestern (=Kinderpflegerinnen) boten Spiel- und Basteltage, Geländespiele, Wanderungen und abendliches Singen.
Bild "Willkommen:Hammelbach_Kinderkurheim_der_Stadt_Herne_1961.jpg"

Und während die Hinreise noch gemeinsam von Herne aus mit der Bahn vonstatten ging, fuhren wir von Hammelbach mit einem Reisebus zurück. Im Kurheim hatten sich wohl einige Kinder mit Diphterie infiziert und lagen noch auf der Krankenstation. Und da war wohl eine Fahrt mit der öffentlichen Bahn nicht  angebracht, selbst wenn wir anderen Kinder nicht erkrankt waren.

Fünf Jahre später war wieder Erholung angesagt. Wieder ging es ins Kinderkurheim nach Hammelbach. Doch welch ein Unterschied zum ersten Besuch.
Das Essen war selbst für meinen eingeschränkten Geschmack gut und lecker. Kein Essenzwang. Und zu den Mahlzeiten gab es Getränke. Eine Sitte, die mir und den meisten deutschen Kindern fremd war. Und noch etwas unbekanntes kam auf den Tisch: Lang geschnittene Kartoffelstückchen, die in Öl gebraten wurden. Diese pommes frites kamen dann zwei, drei Jahre später auch hier in den Verkauf. Des Rätsels Lösung: mit uns Herner Kindern war zugleich eine Gruppe französischer Kinder aus den damaligen Partnerstädten Billy-Montigny, Lens und Henin-Lietard eingeladen. Wir waren in einem Projekt der Städtepartnerschaften und der Völkesverständigung gelandet. Und so gab es auch offizielle Besuche. Neben dem OB Brauner aus Herne kam der "alte" Darchicourt aus Henin-Liétard. Sein Sohn Pierre folgte ihm erst später im Amte nach.
Obwohl die Gruppen an den Esstischen und in den Stuben getrennt waren, kam es bei Spielen doch zu Kontakten. Das grösste Problem war die Sprache. Deutsch war in Frankreich erst 15 Jahre nach dem Krieg und erst kurz nach Beerdigung der Erbfeindschaft durch de Gaulle und Adenauer noch nicht angesagt. Und wir deutschen Kinder lernten, wenn überhaupt eine Fremdsprache, dann Englisch. Und ich konnte mit meinen fast zweijährigen Englischkenntnissen zu einem französischen Jungen Kontakt aufnehmen, der dank einer lockeren Brieffreundschaft noch ein paar Jahre währte. Dieser etwas ältere Junge aus Billy-Montigny, Lionel Cayet, hatte literarische Ambitionen, was meinen Interessen nicht gerade entgegenkam. Was aus ihm geworden ist ? Vielleicht Schriftsteller oder Literaturprofessor.

Und was ist aus dem "Hammelbach" geworden ?
Nachdem es den Herner Kindern besser ging (?!), konnte die Stadt das Haus mangels Nachfrage nicht mehr betreiben und auf Dauer halten. Und so dauerte es eine Weile, während das Haus und Gelände fast in einen Dornröschenschlaf verfiel, bis sich ein anscheinend zahlungskräftiger Investor fand. Heute (2019) steht es leer, niemand scheint einen Nutzungsbedarf zu sehen.